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in Teil 1 meines Artikels zum Thema Sportsucht habe ich mich mit dem eigentlichen „Krankheitsbild“ auseinandergesetzt und konnte herausarbeiten, dass Sportsucht sicher nichts ist, das weit hergeholt werden muss, sondern bei Sportlern weiter verbreitet auftritt, als man denkt. Allein die leider immer noch so niedrige Zahl aktiver Sportler in Deutschland ist Schuld, dass die Ausbreitung auf die deutsche Gesamtbevölkerung noch relativ niedrig ausfällt.
Aus Teil 1 geht klar hervor, dass Sportsucht etwas mit Zwängen zu tun hat. Irgendetwas anderes als der Spaß am Sport treibt eine Person an, Sport zu treiben. Sobald dieser Zwang dazu führt, dass sogar bis ins offensichtliche Übertraining trainiert wird oder Workouts unter Schmerzen abgehalten werden, muss spätestens die Notbremse gezogen werden.
Heute geht es um eine Sonderform der Sportsucht, die ganz besonders im Bodybuilding Einzug hält, dem Adonis-Komplex!
Wer kennt diese Situation nicht: Zwei Tage Trainingspause, schlecht geschlafen, gestern nicht auf die geplanten Kalorien gekommen oder nur wenig Zeit fürs Training einplanen können und schon steht man vorm Spiegel und sieht eine schmale, dünne Erscheinung seines Ebenbildes vor sich - ob hier noch alles mit rechten Dingen zugeht???
Adonis-Komplex – Die „Sonderform der Sportsucht“
Was ist der Adonis-Komplex
Der Adonis-Komplex (auch genannt Muskelsucht, Bigorexia oder Muskeldysmorphie) stellt eine, wenn man so möchte, Sonderform der Sportsucht aus dem Fitness- und Bodybuildingsport dar. Er bezeichnet eine klassische Störung des Selbstbildes. Betroffene fühlen sich gemessen an derer persönlicher Idealvorstellung ständig zu dünn und zu wenig muskelbepackt und das, obwohl der Grad an Muskulatur bereits weit über die Norm hinausgeht. Diese Wahrnehmungssstörung führt dann zu extremen Ausprägungen beim Ess- und Trainingsverhalten, in schlimmen Fällen sogar zum Griff zur Spritze und das in vielen Fällen ohne jegliche Ambition zum Wettkampfsport.
Fazit
Sich generell auch mit 95kg und einem KFA von 10% bei 175cm noch zu dünn zu fühlen, aber auch der oben beschriebene temporäre Blick in den Spiegel, der abhängig davon ausfällt, wie es um das Ernährungs- und Trainingsverhalten der Vortage bestellt war, zeugt vom klaren Hang hin zum Adonis-Komplex.
Ausbreitung
Hinsichtlich der Ausbreitung bestehen lediglich Schätzungen. Grund dafür ist der, dass sich „Muskelmänner“ oftmals Schämen, sich ein derartiges Fehlverhalten einzugestehen oder es schlichtweg nicht erkennen. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind bereits mehr als 100.000 Betroffene in Deutschland bekannt, es wird aber von einer immens höheren Dunkelziffer ausgegangen. Betroffenheit tritt hauptsächlich zwischen 15 und 35 Jahren auf. Sicher ist, dass wesentlich mehr Männer als Frauen vom Adonis-Komplex betroffen sind.
Fazit
Der Standart-Betroffene am Adonis-Komplex ist männlich und zwischen 15 und 35 Jahre alt.
Zusammenhänge zwischen Adonis-Komplex und Sportsucht
Den Adonis-Komplex als eine Sonderform der Sportsucht zu bezeichnen ist faktisch vielleicht nicht ganz richtig, so lässt es sich aber am einfachsten erklären. Letztlich geht es beim Thema Sportsucht um das Training selbst, in welches ständig mehr und mehr Aufmerksamkeit und Zeit investiert wird. Beim Adonis-Komplex hingegen geht es eher um das Resultat aller Bemühungen zur Maximierung von Muskelmasse, die weit über das eigentliche Training hinausgehen. (Ernährung, Lifestyle, etc.).
Smith et al haben den Versuch unternommen, eine standardisierte Untersuchungsmethode für Bodybuilder in Sachen Adonis-Komplex festzulegen. Die sog. BDS (Bodybuilding Dependence Dcale) beinhaltet insgesamt 9 Items und hier wieder 3 Subskalen, nach denen die Betroffenheit abgefragt wird. Die Subskalen befassen sich mit:
1. Sozialer Abhängigkeit (dem Bedürfnis Teil der Welt des Bodybuildings zu sein)
2. Trainingsanhängigkeit (dem Bedürfnis zu trainieren – also hier in Richtung Sportsucht)
3. Beherrschungsbedürfnis (Kontrolle über die Gestaltung des Trainings steht im Vordergrund)
Interessant ist an dieser Stelle, dass zwischen den Ausprägungen des Adonis-Komplex und einer Sportsucht eindeutige Zusammenhänge hergestellt werden konnten.
Fazit
Sportsucht und der Adonis-Komplex als Solches haben tatsächlich Gemeinsamkeiten, auch wenn beim Adonis-Komplex nicht primär die sportliche Tätigkeit an sich im Vordergrund steht.
Wer ist besonders zugänglich?
Eine besonders hohe Anfälligkeit stellt man bei Teenagern fest, klar, da es ihnen oftmals noch an Orientierung in ihrem Leben fehlt und der Körperkult in Magazinen hier schon eine sehr verlockende Richtung vorgibt.
Fest steht, dass der Adonis-Komplex inzwischen zwar nicht mehr NUR, aber immer noch verstärkt bei Bodybuildern anzutreffen ist. Untersuchungsergebnisse zeigen, dass erfahrene Athleten eher in den Gefährdungsbereich fallen, als Neulinge bzw. weniger erfahrene Sportler (was sich mit den Ergebnissen der Studie aus Teil 1 mit Ausdauersportlern und Sportsucht deckt).
Wie es besonders im Bodybuilding und den damit verbundenen Zielsetzungen zum Adonis-Komplex kommt, veranschaulicht beigefügte Darstellung:
Kritik
Wundert uns das? Ein Sport, bei dem man rein nach seiner optischen Erscheinung bewertet wird und bei dem es um Symmetrie, Definition sowie vorzeigbare Muskelmasse geht, führt automatisch dazu, dass man immer mit einer gewissen Unzufriedenheit lebt und auch leben muss, da sie es ist, die einen letztlich motiviert und zum „weiter machen“ antreibt.
Als Bodybuilder wird man rein nach seiner optischen Erscheinung bewertet und das nicht nur im Wettkampf, sondern auch unter Freunden, Kollegen und Gleichgesinnten, ja sogar von Menschen, die einen überhaupt nicht kennen. Eine gewisse „Abschottung“, wie sie bei vielen Bodybuildern stattfindet, sorgt dafür, dass man sich nur noch mit eben denen abgibt, die etwas für den Sport übrig haben und ihn auch betreiben. Genau DAS fördert natürlich aber auch den Hang hin zu einer, wenn man so möchte, „weltfremden“ Wahrnehmung.
Man wird sich dessen möglicherweise bewusst, wenn das nächste Familienfest ansteht, man nicht mehr in seinen Anzug passt und von allen „Normalos“ mit großteils BEwundernden und teilweise VERwunderten Augen angesehen wird.
Fazit
Bodybuilder stellen nach wie vor die gefährdetste Personengruppe für den Adonis-Komplex dar, wobei sicher auch immer mehr Fitnesssportler in seinen Bann geraten.
Zusammenhänge zwischen Adonis-Komplex und Magersucht
Der Adonis-Komplex wird gerne auch in Zusammenhang mit Narzissmus gebracht, also einer Art von übertriebener Selbstverliebtheit und Eitelkeit. Attribute wie ein hoher Grad an Perfektionismus, eine ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, schlechte oder gar keine Beziehungen zur Vaterfigur und ein geringes Selbstwertgefühl werden ebenfalls als Ursachen für den Adonis-Komplex angeführt.
Interessanterweise finden sich all diese Beweggründe auch bei den Ursachen zur Magersucht wieder, weshalb der Adonis-Komplex von Psychologen auch gerne als „umgekehrte Magersucht“ bezeichnet wird.
Kritik
Das Bodybuilding im Extremfall Essstörungen hervorrufen kann, unterschreibe ich auf der Stelle. Schuld an dieser Tatsache sind mehrere Faktoren, zu denen natürlich das falsche Bild von sich selbst zählt. Ein großer Punkt ist meiner Meinung nach auch der falsche Umgang mit dem Werkzeug Ernährung. Er resultiert aus Halbwissen, falschen Ansätzen, einem fehlenden Blick für das WESENTLICHE in Sachen Ernährung und mündet letztlich in falschen Ernährungsstrategien.
„Nach Plan zu Essen“ ist sicher absolut hilfreich als ambitionierter Sportler. Für viele dient der Plan dazu, Mahlzeiten nicht auszulassen, andere haben mit einem Ernährungsplan aber auch eine funktionelle Anleitung, die es ihnen vorgibt, ihre Mahlzeiten richtig zu gestalten. Krankhaft wird das Ganze, wenn man Athletinnen oder Athleten den Plan wegnimmt oder sie in Sachen Ernährung auf eigene Beine stellt und sie dann vor einer schier unlösbaren Aufgabe stehen. Sie sind oftmals nicht mehr in der Lage dazu, die körpereigene Steuerung von Hunger und Sättigung wahrzunehmen, sehen sich ab diesem Tag 5kg leichter im Spiegel als sie eigentlich sind und verrennen sich. Derartige Situationen können, wie viele andere im Bodybuilding auch, durchaus zu einer Essstörung führen, die meiner Meinung nach in beide Richtungen, also in eine „richtige“, aber auch in eine „umgekehrte“ Magersucht tendieren kann. „Magersucht“ kann hier bedeuten immer möglichst „mager“ sein zu wollen!! Im Klartext würde das bedeuten, zu versuchen, ganzjährig mit einem Körperfettgehalt von 5-7% zu leben, dennoch aber Fortschritte in Sachen Muskelaufbau generieren zu wollen.
Fazit
Der Adonis-Komplex hat in Sachen Essstörungen sicher schon einige Athleten auf dem Gewissen! Die Zielsetzungen im Zusammenhang mit einem falschen Selbstbild schreien gerade zu nach einer hohen Anfälligkeit des „Bodybuilders“.
Anzeichen für einen angehenden oder bestehenden Adonis-Komplex:
Als diagnostische Anzeichen für den Adonis-Komplex werden genannt:
- starker Gewichtsverlust
- "Sucht" nach leistungssteigernden Substanzen
- regelmäßiger, exzessiver Sport
- fehlender Bezug zum eigenen Aussehen und diesbezüglicher Realitätsverlust
- hormonelle Störungen
- Gestörtes Essverhalten
- Akne, ausgelöst durch die Einnahme von Anabolika
Kritik
Die diagnostischen Anzeichen für einen Adonis-Komplex sind meiner Meinung nach sehr schlecht gewählt.
Starker Gewichtsverlust ist sicher kein alleiniges Anzeichen dafür, möglichst viel Muskelmasse sein Eigen nennen zu wollen. Wie soll ein Arzt feststellen, ob es sich bei bestehender Akne um eine Steroidakne handelt? Hat man automatisch eine Steroidakne, wenn man mehr Muskeln auf den Rippen hat? Hormonelle Störungen müssen ebenfalls erst von Endokrinologen untersucht werden. Regelmäßigen exzessiven Sport mit einem Adonis-Komplex gleichzustellen, ist schlichtweg falsch, zudem muss die Begrifflichkeit „exzessiv“ hierzu erst quantifiziert werden. Was ist denn exzessiv? Für den Außenstehenden sicher unvorstellbar ist die Tatsache, sich NICHT mit Essen aus der Kantine oder dem Fast-Food-Restaurant vollzustopfen, sondern eigens vorbereitete Mahlzeiten am Mann zu haben, die einem gewissen Ernährungsplan entsprechen. Da vermutet man natürlich gleich ein gestörtes Essverhalten.
Fazit
Meiner Meinung nach zeugen diese diagnostischen Kriterien davon, dass es der Medizin in Sachen Adonis-Komplex eindeutig an einer Handhabe fehlt, um den Adonis-Komplex einerseits dingfest zu machen und ihn andererseits dann auch richtig zu behandeln.
Adonis-Komplex und Steroidmissbrauch
Fest steht, dass in der Zwischenzeit weit mehr als nur Wettkampfbodybuilder zu denjenigen zählen, die in Sachen Maximierung des Muskelaufbaus auf Steroide setzen.
Untersuchungen stellen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Selbstwertgefühl und der Ausprägung des Oberkörpers einer Person fest und zeigen zudem, dass gerade hierzu verwendetet Steroide nochmals für eine Verbesserung des Erscheinungsbildes und einer weiteren Stärkung des Selbstbewusstseins sorgen. Hinzu kommt die einfache Beschaffung und eine, besonders bei jungen Athleten häufig anzutreffende neue Charaktereigenschaft, die sich Ungeduld nennt und schon hat man den notwendigen Cocktail für die erste Bestellung beim Dealer seines Vertrauens zusammen.
An dieser Stelle geht mein klarer Appell an alle, die Sport rein nur um des Spaßes Willen betreiben oder Hanteln stemmen, um damit die Mädels zu beeindrucken, Anerkennung zu finden und um ein sportlicheres Aussehen erlangen: Lasst die Finger von jeglicher Art Arzneimittel, auch wenn es noch so verlockend erscheint und auch, wenn viele Eurer Trainingskumpels sich bereits mit diversen Substanzen auf den nächsten Level spritzen. Abgerechnet wird zum Schluss und auch wenn es einem gerade in jungen Jahren etwas an Weitsicht fehlt, lasst Euch von einem erfahrenen Coach wie mir sagen, dass man mit Attributen wie Kampfgeist, Durchsetzungsvermögen und Beständigkeit wesentlich mehr erreichen kann!
Resümee
Der Adonis-Komplex geht mit Bodybuilding Hand in Hand. Ich bin mir sicher, dass die Zahl derer, die mehr oder weniger davon betroffen sind, erschreckend hoch ausfällt. Man kann einen schwach ausgeprägten Adonis-Komplex durchaus FÜR sich und seine Ziele einsetzen, denn er spornt einen immer wieder aufs Neue an. Was nicht passieren darf, ist, das Euch der Adonis-Komplex zum FREAK macht!
Mit sportlichen Grüßen
Euer
Holger Gugg
Quellen
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Diplomarbeit von Psychologin Susanne Andersen g.W.
Roberto Olivardia, Harrison G. Pope, u. a.: Muscle Dysmorphia in Male Weightlifters: A Case-Control Study. American Journal of Psychiatry (August 2000), S. 1291
https://www.bkk24.de/typo3/index.php?id=1095
http://studie-psychologie.at/sportsucht-wenn-aus-der-lust-am-sport-eine-sucht-wird/