Viele im Bodybuilding angewandte Ernährungspraktiken sind nicht nur wissenschaftlich unbegründet, sondern teilweise auch gesundheitlich bedenklich. Überzogene Mengen an Protein ohne jeglichen Zusatznutzen, nachts aufstehen, um zu essen, stark überdosierte Ergänzungen mit fettlöslichen Vitaminen oder Heavy Bulking sind einige solcher Beispiele, die breite Anwendung finden, obwohl es an Sinnhaftigkeit mangelt.
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich einige Empfehlungen für die Diätphase im Bodybuilding, aber nur wenige echte Anhaltspunkte für Sportlerinnen und Sportler in der Aufbauphase.
Einige sinnvolle Tipps hält der heutige Beitrag für Dich bereit.
Energiebilanz und Kalorien
Während der Aufbauphase im Bodybuilding ist das Hauptziel die Zunahme an Muskelmasse bei gleichzeitiger Minimierung eines Zuwachses an Fettmasse (lean bulking). Hierzu absolvieren Sportlerinnen und Sportler Widerstandstraining und halten eine positive Energiebilanz aufrecht. Aus Untersuchungen geht hervor, dass ein „gewöhnliches“ Bodybuildingtraining an 5 bis 6 Tagen pro Woche stattfindet. Jede Muskelgruppe wird dabei 1 bis 2 x pro Woche trainiert, meist mit hohem Volumen pro Muskel, Wiederholungen im Bereich von 7 bis 12 und Satzpausen im Bereich von 1 bis 2 Minuten. Die Trainingseinheit im Bodybuilding wird mit einer Dauer von etwa 40 bis 90 Minuten angegeben. Das alles kann individuell auch anders aussehen, stellt aber offenbar den Schnitt der Gesamtheit dar (1).
Wie viele Kalorien es sein müssen, hängt von vielen individuellen Variablen ab und lässt sich nicht vereinheitlichen. Insbesondere in Verbindung mit Krafttraining hat sich gezeigt, dass eine positive Energiebilanz wichtige anabole Effekte vermittelt, die notwendig sind, um Bodybuilding-Ziele bestmöglich zu erreichen. Was auf der einen Seite notwendig erscheint, kann auf der anderen Seite auch übertrieben werden. Garthe et al (2) verabreichten in einer Studie trainierten Probanden einmal einen nur leichten Kalorienüberschuss und einmal einen erheblichen Kalorienüberschuss von 600kcal/Tag über 12 Wochen. Wie sich zeigte, nahmen die Athleten der stärker überernährten Gruppe zwar mehr fettfreie Masse zu, dies aber nicht signifikant. Was allerdings signifikant ausfiel, war der Zuwachs an Fettmasse. Die Forscher schlussfolgerten daraus, dass ein kalorischer Überschuss von 200 bis 300 Kalorien verglichen mit einem Überschuss von 500 bis 600 Kalorien sich besser dazu eignet, Muskelmasse aufzubauen, ohne gleichzeitig erheblich an Fettmasse zuzulegen. Unterschiede sehen Forscher auch im Erfahrungsgrad von Bodybuildern. Während man bei Anfänger noch eher von einem merklicheren Überschuss profitieren kann, schwinden die Vorteile bei fortgeschrittenen Bodybuildern. Lambert et al zitieren einen Kalorienüberschuss von etwa 15 % als optimalen Zwischenweg (3). Als anzustrebende Gewichtszunahme sehen Studien einen Bereich von 0,25 bis maximal 0,5 kg pro Woche als sinnvoll an, wenn die Zielsetzung lautet fettfreie Masse zuzulegen und die Zunahme von Fettmasse zu minimieren (4, 5).
Solche Zahlen können in Relation zum Erfahrungsgrad eines Sportlers stärker variieren und müssen mit Vorsicht betrachtet werden. Ein regelmäßiger Zuwachs von 0,5 kg pro Woche würde bedeuten, in einem Jahr mit 52 Wochen 26 kg fettfreie Masse zuzulegen. Ich denke, jeden ist klar, dass solche Modelle utopisch sind, zumindest im naturalen Bodybuilding und ebenso auf die Dauer.
Fazit
Bodybuilder profitieren im Aufbau von einem Kalorienüberschuss. Für maximale Ausbeute bei fettfreier Masse und gleichzeitig minimierter Zunahme an Fettmassen sollte sich das Kalorienplus im Bereich ab 5 bis 20 % des Ist-Kalorienverbrauchs bewegen.
Protein
Der Proteinumsatz von Skelettmuskulatur gibt das Verhältnis zwischen Muskelproteinsynthese (MPS) und Muskelproteinabbau (MPB) wieder. Die Skelettmuskelhypertrophie erfordert eine Nettobilanz, bei der die MPS dem MPB überwiegt. Krafttraining liefert den auslösenden Spannungsreiz, der Hypertrophie fördert, kann aber durch eine unzureichende tägliche Proteinzufuhr kompromittiert werden (6 – 8).
Um die Muskelproteinsynthese zu stimulieren, bedarf es lediglich der ausreichenden Anwesenheit von essenziellen Aminosäuren (9). Leucin fungiert dabei als wichtiger „metabolischer Auslöser“ der Muskelproteinsynthese, wurde in der Vergangenheit aufgrund dieser Eigenschaft von halbwissenden Spezialisten in ein falsches Licht gerückt mit dem Ergebnis, hoffnungslos Leucin überdosierter Aminosäureprodukte. Maximaler Stimulus der Proteinsynthese erfordert eine gewisse Menge an Leucin, allerdings haben auch andere essenzielle Aminosäuren einen Signaleffekt und (das ist besonders wichtig), Proteinsynthese signalisieren, bedeutet nicht gleich diese auch dank voller Verfügbarkeit aller essenzieller Aminosäuren in der richtigen Gewichtung ausführen zu können (10, 11).
Insgesamt lässt sich aus der vorhandenen Literatur schlussfolgern, dass tierische Proteinquellen und bei pflanzlichen Proteinquellen Sojaprotein dank deren spezifischer Aminosäure-Matrix und weiteren Eigenschaften wie einer besseren Absorption insgesamt besser geeignet sind, um fettfreie Masse aufzubauen als andere pflanzliche Proteine. Relevant wird dies insbesondere, wenn pflanzliche Proteine nicht kombiniert werden und wenn Sportlerinnen und Sportler sich bei der Zufuhr am unteren Ende der Richtlinien für Proteinaufnahme (bis etwa 1,6 g pro Kilogramm Körpergewicht) orientieren (12).
Fett
Fett wird aufgrund alter Mythen des Old-School-Bodybuildings nach wie vor gerne gemieden, dabei handelt es sich hierbei um einen teils essenziellen Nährstoff mit vielen wichtigen Funktionen. Zu wenige Fettsäuren aufzunehmen kann sich auf die Hormonbildung und die Regenerationsfähigkeit auswirken (13, 14). Studien zu diesem Thema schlagen eine Aufnahme von Fett im Bereich von 10 bis 30 % der Gesamtkalorien vor. Das American College of Sports Medicine definiert für Sportlerinnen und Sportler einen Bedarf von 20 bis 35 % der Gesamtkalorien oder 0,5 bis 1,5 g pro Kilogramm Körpergewicht und Tag (15).
Kohlenhydrate
Kohlenhydrate gelten per se nicht als essenziell und dennoch spielt die Zufuhr von Lebensmitteln mit einem hohen Gehalt an Kohlenhydraten eine wichtige Rolle für Bodybuilder, sei es als Regulator der Schilddrüse, zur Regeration verbrauchter Energiespeicher oder aber zur Deckung des Bedarfs an Mikronährstoffen und Ballaststoffen (16 – 18).
Wenngleich Kohlenhydrate für die Leistungsfähigkeit im typischen Bodybuilding-Training eine gewisse Rolle übernehmen, wird deren Aufnahme (anders als bei Fettsäuren) gerne hoffnungslos übertrieben (19, 20). Annehmen darf man, dass im Rahmen einer Trainingseinheit in trainierten Muskeln 24 bis maximal 40 % der zur Verfügung stehen Glykogenvorräte verbraucht werden (21). Diese gilt es zusammen mit anteilig verbrauchtem Leberglykogen für bestmögliche Regeneration wieder zu befüllen.
Klare Zufuhrmengen wie diese für Protein oder Fettsäuren anteilig an den Gesamtkalorien bestehen existieren für Kohlenhydrate bei Bodybuildern nicht. Vermutungen legen Bereiche von 3 bis 5 g pro Kilogramm Körpergewicht als sinnvoll nahe, wenngleich eine Bestimmung der Aufnahme eines Energiesubstrates angelehnt an das Körpergewicht genau genommen an der Intention vorbeigeht, die Aufnahme eines Energiesubstrates am tatsächlichen Energieverbrauch fest zu machen (22, 23). Zweitgenanntes wäre sicher die zielführendere Vorgehensweise auf die Ernährungskonzepte wie beispielsweise HBN Human Based Nutrition im speziellen auch für Bodybuilder eingehen. Es bedarf hier weiterführender spezifizierter Forschung.
Resümee
Sieht man sich die verfügbare Datenlage zu Aufbauphasen im Bodybuilding an, stellt man fest, dass es wahrlich nicht sehr viel Forschung gibt. Dies macht Erfahrungswerte von Athletinnen, Athleten aber auch Coaches umso wertvoller, jedoch nur wenn sie einerseits in der Lage sind, eigene Intentionen auf andere Menschen umzumünzen und andererseits nicht in der Mythen-Landschaft des Old-School Bodybuilding nach dem Motto „das war immer schon so“ stecken bleiben.
Für alle ambitionierten Bodybuilderinnen und Bodybuilder abschließend ein Chart mit dem Versuch, eine Aufbauphase bestmöglich via Rahmenbedingungen bei der Ernährung abzubilden.
Ich wünsche Euch viel Spaß beim Umsetzen und gute Gainz!
Holger Gugg
Quellen
(1) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25926019/
(2) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23679146/
(3) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15107010/
(4) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19204579/
(5) https://cdnsciencepub.com/doi/10.1139/h99-024
(6) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24791918/
(7) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29405780/
(8) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26388782/
(9) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10198297/
(10) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16777941/
(11) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19036897/
(12) https://journals.humankinetics.com/view/journals/ijsnem/28/6/article-p674.xml
(13) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8942407/
(14) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26284291/
(15) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19225360/
(16) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/26604176/
(17) https://www.metabolismjournal.com/article/0026-0495(78)90137-3/pdf
(18) https://www.metabolismjournal.com/article/0026-0495(86)90126-5/pdf
(19) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9286742/
(20) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23905657/
(21) https://link.springer.com/article/10.1007/BF00422734
(22) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15107010/
(23) https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/0271531795020543?via%3Dihub