Nach wie vor bezeichnet sich aktuellen Umfragen zur Folge nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung als „vegan“. Veganismus definiert die strengste Form des Vegetarismus, die mindestens den Verzicht aller Arten tierischer Lebensmittel oder Lebensmittelbestandteile vorschreibt. Während anzunehmen ist, dass Veganismus selbst nie „Mainstream“ wird, achten durchaus immer mehr Menschen darauf, die Aufnahme tierischer Lebensmittel und in diesem Zusammenhang auch tierischer Proteinquellen zu reduzieren und anstelle davon mehr pflanzliche Lebensmittel zu konsumieren.
Unter den Anhängern pflanzlich-basierter Kost, findet man auch immer mehr Sportler und sogar solche, die es auf Muskelaufbau abgesehen haben.
Die große Frage, die sich hierbei stellt ist, inwieweit der Verzicht auf tierische Proteinquellen aller Art ein Problem für die Versorgung mit Protein darstellt. Immerhin gilt Protein in Hinblick auf Muskelaufbau als DER wichtigste Makronährstoff.
Ich habe diese Frage heute einmal aufgegriffen und versuche sie sachlich-konstruktiv zu beantworten. Viel Spaß!
Gibt es genügend vegane Proteinquellen? JEIN!
In der Theorie stellt es angesichts des hohen Proteingehalts auch pflanzlicher Lebensmittel kein Problem dar, eine angemessene Versorgung zu gewährleisten. Blickt man in die Praxis stellt man fest, dass die erste Hürde bereits bei der passenden Aufteilung der zur Verfügung stehenden Kalorien genommen werden muss. Während tierische Proteinquellen wie beispielsweise mageres Fleisch oder Fisch außer Protein, kaum sonstige Kalorien aus anderen Nährstoffen liefern, findet man so gut wie keinen pflanzlichen Proteinträger, der nicht auch aus relevanten Mengen an Kohlenhydraten oder Fettsäuren besteht.
Also ist das Vorhaben nicht machbar? – Doch natürlich, aber derjenige der schon einmal einen veganen Ernährungsplan geschrieben hat, wird sicher auch festgestellt haben, dass es ein deutlich schwierigeres Unterfangen darstellt, im Rahmen vorgegebener Kalorien ausreichend Protein zu planen und gleichzeitig nicht bei Kohlenhydraten oder Fett über die Stränge zu schlagen.
Nebst der rein kalorischen Betrachtung kann in einigen Fällen auch die für eine angemessene Proteinaufnahme aus pflanzlichen Lebensmitteln nötige Menge an Essen ein Problem darstelle.
Pflanzliche Proteinquellen und ihre Wertigkeit
Nehmen wir an, Dir gelingt es genug Protein aus pflanzlichen Proteinquellen zu beziehen, die sonstigen Nährstoffe der Kalorienbilanz anzupassen und auch mit der Nahrungsmenge kommst Du bestens zu Recht. BRUTTO wäre das Problem nun gelöst. Jetzt ist es an der Zeit einen Blick auf das NETTO zu werfen. In diesem Zusammenhang geht es um die Qualität des aufgenommenen Proteins. Diese wird nach wie vor am Häufigsten über die biologische Wertigkeit bewertet.
Die Qualität von Protein
Die biologische Wertigkeit sagt aus, wie effektiv über die Nahrung aufgenommenes Protein in körpereigenes Protein umgewandelt und damit qualitativ verwertet werden kann. Maßgeblich für hohe Qualität nach der biologischen Wertigkeit sind einmal der Gehalt an essentiellen Aminosäuren und des Weiteren die Matrix, also der Gehalt der einzelnen essentiellen Aminosäuren untereinander. Nur wenn ausreichend essentielle Aminosäuren für körpereigenen Proteinaufbau in der richtigen Gewichtung zueinander zur Verfügung stehen, kann von einer guten biologischen Wertigkeit und in diesem Zusammenhang von einer hohen Proteinqualität die Rede sein.
Der Gehalt an essentiellen Aminosäuren
Insgesamt finden sich in pflanzlichen Quellen bezogen auf den Gesamtproteingehalt weniger essentielle Aminosäuren als in tierischen Quellen. Diese verdeutlicht, dass beim Brutto-Vergleich des Anteils an Protein in pflanzlichen und tierischen Lebensmittel bereits mit einem nicht einheitlichen Maß gemessen wird.
Vollständige vs. unvollständige Proteine
Wenngleich es, wie wir noch sehen werden Ausnahmen gibt, fällt auch der zweite Bewertungsmaßstab für die Qualität eines Proteins bei tierischen und pflanzlichen Proteinquellen unterschiedlich aus. Aminosäuren wie Lysin oder Methionin aber auch Isoleucin und Valin zählen bei etlichen pflanzlichen Proteinträgern zu den sogenannten limitierenden Aminosäuren.
Ihr mangelhafter Gehalt verglichen mit anderen essentiellen Aminosäuren sorgt dafür, dass weniger körpereigenes Protein gebildet werden kann.
Was oben geschrieben wurde, weiß eigentlich jeder etwas belesene Veganer und wehrt sich vehement gegen diese dennoch berechtigte Kritik. Es sei ein Leichtes, fehlende Aminosäuren einzelner pflanzlicher Proteinquellen durch gezielte Kombinationen auszugleichen und die Qualität damit zu erhöhen.
Wenn pflanzlichen Proteinträger in Summe merklich weniger essentielle Aminosäuren enthalten, kann auch eine noch so geschickte Kombination mehrerer pflanzlicher Proteine den Gesamtgehalt nicht auf den Level tierischer Proteinvarianten anheben.
Kombinieren funktioniert in der Theorie, aber wie sieht es in der Praxis aus?
Kennen Veganer die limitierende Aminosäure des einen Proteinträgers und zeitgleich andere Proteinträger die besagte Aminosäure im Überschuss liefern?
Falls ja bringen Veganer die Bereitschaft mit, die auf Basis optimaler Aminosäurekonstellationen herbeigeführten Menü-Kreation dauerhaft zu verzehren?
Meine Erfahrung sagt mir in beiden Punkten etwas Anderes, wenngleich ich auch Personen kenne die es tatsächlich seit Jahren so betreiben.
Sojaprotein – Die Ausnahme
Häufig wird für Vergleiche von tierischen mit pflanzlichen Proteinkonzentraten und deren Effekte auf die sportliche Leistungsfähigkeit oder aber Muskelwachstum Sojaproteinisolat stellvertretend für die „plantbased Faktion“ herangezogen. Protein aus Sojabohnen stellt hinsichtlich der Qualität eine Ausnahme dar. Der EAA-Gehalt ist vergleichsweise hoch und die EAA-Matrix ist ebenso vergleichsweise ausgeglichen. So verwundert es wahrlich nicht, dass eine Meta-Analyse von Messina et al mit 9 involvierten Studien zu dem Ergebnis kommt, dass die Verwendung von Proteinkonzentrat aus Soja zu vergleichbaren Effekten bei Kraftsteigerung und Muskelaufbau führen, wie diese von Proteinkonzentrat aus Molke zu erwarten sind. Morgan et al wollten in deren Meta-Analyse Unterschiede unter dem Aspekt der Qualität aus pflanzlichen und tierischen Proteinquellen, in Hinblick auf Kraftsteigerungen und Muskelaufbau untersuchen. Liest man jedoch den gesamten Studientext fällt auf, dass es sich hierbei nicht um einen allgemeingültigen Vergleich tierisch vs. pflanzlich handelt. Die meisten involvierten Studien wurden mit Proteinkonzentrat aus Soja durchgeführt.
Wichtig ist an dieser Stelle auf der anderen Seite zu erwähnen, dass man sich mit der Verwendung von Sojaprotein-Isolat als Mann in der Regel keine Sorgen hinsichtlich eines Rückgangs des körpereigenen Testosteronspiegels zu machen braucht.
Wie es ist bei anderen pflanzlichen Proteinen?
Vergleicht man verschiedene pflanzliche Proteinquellen mit tierischen Proteinvarianten hinsichtlich deren Potenzials zum Muskelaufbau, bekommt man einen anderen Blick vermittelt.
Theoretisch räumt man tierischen Proteinen einen „anabolen Vorteil“ ein, da sie neben dem höheren EAA-Gehalt zudem für Muskelaufbau wichtige Bestandteile wie Taurin, Carnosin, Kreatin, Kollagen und sogar Cholesterin enthalten. Untersuchungen berichten von einer besseren Unterstützung des Proteinaufbaus (Proteinsynthese) seitens tierischer Proteine, sowie von einem günstigeren Effekt auf Magermasse.
Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass es zu anderen pflanzlichen Proteinquellen außer Sojaprotein nur eine Hand voll verwertbarer Studien gibt, auf die man sich zum heutigen Tage hinsichtlich deren Effekt auf Muskelaufbau berufen kann.
Fazit
Als Veganer hat man eine Vielzahl an Hürden zu nehmen, um eine mit einer Mischkost vergleichbare Proteinversorgung zu gewährleisten. Auf den relevanten Punkt der Anti-Nährstoffe in pflanzlichen Proteinquellen bin ich an dieser Stelle erst gar nicht eingegangen, da die Problematik denke ich auch so sehr gut zu erkennen ist. Adäquate Versorgung mit Protein als Veganer ist klar machbar IN DER THEORIE! In der Praxis habe ich persönlich größere Bedenken. Sojaprotein darf sich mit Fug und Recht als Ausnahme unter den pflanzlichen Proteinquellen bezeichnen.
Die Ausgangsfrage kann mit einem JA ABER beantwortet werden. Natürlich ist es möglich, Muskeln auch mit veganen Proteinquellen aufzubauen. Ich denke, der Beitrag beschreibt auf sachlich-konstruktive Weise, dass es dennoch einige Hürden zu überwinden gibt, die man in Hinblick auf die optimale Proteinversorgung bei pflanzlichen Proteinquellen zu überwinden hat.
KNOW-HOW IST TRUMPF bei diesem gesamten Thema! Wer denkt, von heute auf morgen einfach „mal vegan zu werden“, ohne sich vorher ausgiebig mit den nutritiven Konsequenzen auseinandergesetzt zu haben, wird mittel- und langfristig Nachteile davontragen.
Mein persönlicher Rat für Veganer oder Personen, die eine Aufnahme tierischer Proteinquellen stärker reduzieren wollen, ist die Verwendung essentieller Aminosäuren wie HBN EAA CODE zum Aufpeppen der Proteinqualität. Auch die Verwendung eines sinnvoll konzipierten veganen Proteinkonzentraten oder von Proteinkonzentraten, die pflanzliche mit tierischen Proteinträgern kombinieren, kann die praktische Umsetzung vereinfachen.
Sportliche Grüße
Holger Gugg
www.body-coaches.de